Marco Polo war in China

Erstellt von Holger am 28. Oktober 2002 um 01:22 Uhr

Wie er ja schon selbst ausführlich in seinem Reisebericht darlegt, war Marco Polo bis nach China gereist und hielt sich dort einige Zeit lang auf.


Tatsächlich aber gibt es daran erhebliche Zweifel. Eigenen Angaben zufolge hatte er eine Audienz beim damaligen mongolischen Herrscher Chinas, Kubilai Khan, und wurde von diesem zwischen 1275 und 1292 zu mehreren offiziellen Missionen eingesetzt. Seltsamerweise geben die chinesischen Quellen, die sonst zuverlässig jeden Besucher des Kaisers/Khan vermerken und alle offiziellen Missionen und die damit verbundenen Leute festhalten, keinerlei Auskunft über einen Ausländer, der sich mit Marco Polo identifizieren ließe. Darüberhinaus zeichnet sich Polos Bericht durch eine befremdlich Uneinheitlichkeit bei der Detailliertheit seiner Beschreibung aus. Einige Dinge beschreibt er sehr genau und zutreffend, andere, für einen Fremden mindestens ebenso augfällige, läßt er völlig aus. So erwähnt er, meiner Erinnerung nach, z.B. die seltsame chinesische Schrift, die so völlig von unserer abweicht, mit keinem Wort. Die wahrscheinlichste Erklärung ist die, daß Polo in Wirklichkeit nur bis Zentralasien gekommen ist, wo ihm die Karawanen der Seidenstraßen (die man sich nicht als einen kartographierbaren Weg oder wenigstens eine Route vorstellen darf -- tatsächlich gab es viele möglicher Routen und eine ganze Reihe wichtiger Etappenstationen auf dem Weg und welche davon man auf welcher Route ansteuerte hing von der Laune des Karawanenführers und den Gegebenheiten unterwegs ab) begegneten. Von deren Teilnehmer wird er aus zweiter, möglicherweise sogar bloß aus dritter Hand (viele Karawanen bereisten nur einen Teil der Strecke und verkauften die mitgeführten Handelsgüter dann an Zwischenhändler, die sie weitertransportierten) an die Nachrichten aus China gekommen sein, die er mit viel Phantasie und Aufschneiderei zu einem angeblich eigenen Erlebnisbericht anreicherte. Diese Karawanenteilnehmer wiederum werden z.B. mit der chinesischen Schrift schon so vertraut gewesen sein, daß sie ihnen beim Gespräch mit Polo keine Erwähnung mehr wert war (oder sie waren, weil eben nur Zwischenhändler, auch nie selbst in China und kannten es ihrerseits nur aus den Erzählungen anderer Karawanen, die, da möglicherweise Chinesen, an ihrer Schrift überhaupt nichts besonderes fanden). Daß er wirklich in China war, ist höchst unwahrscheinlich, daß seine Angaben über seine Begegnung mit dem Khan und seinen Status als dessen Gesandter stimmen, kann sicher ausgeschlossen werden. Nichtsdestotrotz sind seine Angaben über das damalige China weitgehend zutreffend -- nur hat er das eben nicht selbst erlebt und gesehen.


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Kommentare zu diesem Ammenmärchen (Kommentar schreiben)

  1. kein sinologe hat am 31. Oktober 2002 um 15:35 Uhr geschrieben:
    sehr interessantes argument.
    aber vielleicht war marco polo nach über 20 jahren die chinesische schrift auch "so vertraut", dass sie ihm keine erwähnung mehr wert war...





  2. Holger hat am 31. Oktober 2002 um 20:36 Uhr geschrieben:
    hältst Du das für wahrscheinlich?
    Abgesehen davon, daß das, wäre das richtig, nur die Widerlegung EINES Indizes wäre (es gibt deren zahlreiche und das triftigste wird wohl das völlige Fehlen von Erwähnungen Marco Polos in chinesischen Quellen sein), würde das auch für alles andere gelten, was Polo beschrieb. All das war ihm, wenn seine Angaben wahr sind, seit x Jahren vertraut -- und er erwähnte es trotzdem oft sehr ausführlich. Er wollte, vorgeblich, wie es scheint, einen Bericht über die Zustände in einem fernen fremden Land geben und damit angeben, daß er sich dort auskannte. Weshalb sollte er eine der augfälligsten und wichtigsten Besonderheiten der chinesischen Kultur aufgrund 20jähriger Gewöhnung schlicht vergessen haben? Immerhin war der Mann Kaufmann und sollte als solcher sehr wohl ein Auge für die Laden- und Firmenschilder und ihre Aufschrift in den Straßen der Städte gehabt haben! Sollte er in dieser Zeit sogar Chinesisch sprechen und schreiben gelernt haben, würde ich sogar viel eher erwarten, daß er in seinem Buch mit einigen Kostproben aufwartete.

    Nebenbei: Ich bin seit 18 Jahren Sinologe -- und halte die chinesische Schrift nach wie vor für etwas höchst erwähnenswertes!

  3. Chef hat am 19. Dezember 2002 um 04:07 Uhr geschrieben:
    Was ist mit Arabischer Schrift???
    Grundsätzlich folge ich Deiner Argumentation, vor allem der mit den chinesischen Quellen.


    Aber wenn er bis Zentralasien gekommen ist, sollte er doch auch die arabische Schrift als erwähnenswert gehalten haben, oder? Schliesslich unterscheidet sich diese Schrift auch schon beträchtlich von dem, was er aus Italien kannte.


    MEINE persönliche sehr auf die Spitze getriebene Vermutung lautet folgendermassen:


    (Anfang Ironie)


    Marco Polo hat sich, nachdem er sich von seiner Mutter verabschiedet hat, schnellstens auf den Weg nach Byzanz gemacht, um dort in den Amüsierlokalen abzuhängen, sich an den türkischen Bauchtänzerinnen zu erfreuen, und das für die Expedition gedachte Geld zu verprassen. Er hat dann irgendwann, nachdem ihm alles zu langweilig geworden ist, und Italien sehnsüchtig auf seine Berichte wartete, den ersten Kettebrief in der Weltgeschichte geschrieben und in Richtung Osten geschickt. In dem Brief forderte er alle Empfänger auf, ihre Tagebücher an 5 weitere Freunde zu schicken um glücklich zu werden, und wenn sie die Stufe 20 erreicht haben, sollten sie die empfangene Tabebuchsammlung an seine Geheimadresse in Byzanz schicken. Aus diese Weise konnte er sich über viele Jahre hinweg ein schönes Leben in Saus und Braus leisten, ohne einen Strich zu arbeiten. Als er genügend Tagebücher hatte, hat eine Armada von Übersetzern hingesetzt, und aus dem Stoff eine super Geschichte zusammen geschrieben. Anschliessend ist er irgendwann wieder über's Mittelmeer nach Italien rübergedüst, und hat den tollen gespielt. Insgeheim hat er sich ins Fäustchen gelacht, weil er alle an der Nase herumgeführt hat.


    (Ende Ironie)


    ;-))))


  4. holger hat am 19. Dezember 2002 um 20:14 Uhr geschrieben:
    arabische Schrift
    Die arabische Schrift war den Europäern, wenigstens den gebildeten, seit dem Mittelalter bekannt. Manche seit der Antike verlorengegangenen griechischen Texte hatte man damals aus arabischen Übersetzungen rückübersetzt. Als kaufmann in Venedig wird Polo schon vor Reiseantritt mit einigen arabischen Seehändlern zu tun gehabt haben, Venedig war wohl das wichtigste Handelstor des Orients in den Westen.

    Im übrigen entsinne ich mich, daß Polo die Reise gemeinsam mit seinem Vater antrat -- na gut, die könnten sich auch zu zweit einen schönen Lenz in Byzanz gemacht haben. Nur, Polo schrieb seine Reiseberichte im Gefängnis, bzw. diktierte sie. Ob er da noch postalisch für die erbetenen Tagebücher erreichbar war?

  5. Roger Wilco hat am 01. Juli 2003 um 18:55 Uhr geschrieben:
    widerspruch
    Und was ist dann mit den spaghetties?


  6. holger hat am 06. Juli 2003 um 04:06 Uhr geschrieben:
    @ Roger Wilco
    Allen entgegengesetzten Behauptungen zum Trotz ist bisher noch nicht sicher, wer die Nudeln erfunden hat. Die Chinesen scheinen eine Nasenlänge voraus zu sein (soweit ich mich entsinne, gibt es Hinweise auf chinesische Nudeln bereits im 8. Jh.), aber die Archäologie der Nahrungsmittel leidet an zwei Problemen: 1. sind sie extram verderblich und 2. werden sie für gewöhnlich aufgegessen. Auf jeden Fall können die Nudeln, respektive ihre Rezeptur auch auf dem Handelsweg verbreitet worden sein, ohne daß es dazu eines Marcoi Polo bedurft hätte. Und zu guter letzt ist ihre Herstellungsweise auch nicht so sublim, daß ihre Rezeptur nur einmal hätte erfunden werden können. Vielleicht sind also Chinesen und Italiener unabhängig voneinander auf ihre Herstellung gekommen. Daß ein venezianischer Aufschneider damit zu tun haben sollte, halte ich für so oder so ausgeschlossen.

  7. Lux hat am 10. Februar 2004 um 16:48 Uhr geschrieben:
    Spaghetti
    Ich bin der Meinung, dass die Spaghetti in Italien unabhängig von denen in China entstanden. Dafür sprechen folgender Grund:

    In Italien gabe es damals schon Reis. Deshalb hätten sie ja auch auch aus Reis sein müssen.
    Aber sie sind aus Weizen.

    Im übrigen wurden sie in Italien schon viel früher entwickelt. Man wollte aber mit dem Product-Placement warten, bis Columbus mit den Tomaten von Amerika kam, um eine würdige Sauce draufzupappen

    ;-)

  8. holger hat am 31. Juli 2004 um 17:52 Uhr geschrieben:
    @lux
    Ich habe einige Zeit gebraucht, bis ich verstanden habe, was Du (mit dem ersten Teil Deines Postings) gemeint haben könntest. Es gibt und gab in China zwei Getreidearten, aus denen Nudeln hergestellt wurden. Ich fürchte, vor Dir ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, Spagheti mit Reisnudeln zu vergleichen. Die haben zu wenig gemein miteinander. Aber es gab und gibt in China sehr wohl auch Nudeln, die aus Weizen hergestellt werden und die auch äußerlich recht viel Ähnlichkeit mit den italienischen Pendants haben. Dein Argument hilft hier also wirklich nicht weiter.

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